Kapitel 2

Definitionen der Demokratie

Prozedurale Demokratie und Korruption

Der Demokratie, der sich aus dem Autoritarismus seit den 1980er Jahren herausgebildet hat, kann am treffendsten als prozedural bestimmt werden. Diese Demokratie als Verfahrenstechnik, ist im Grundsatz Konkurrenz von Parteien in einem Wahlsystem. Eine auf Wahlen begründete Definition von Demokratie geht von der Annahme aus, daß der Prozeß auch den Kern seiner Legitimation bildet. Diese Definition auf der Grundlage von Wahlen tauchte dort auf, wo der Zweck, nämlich repräsentative Institutionen zu bilden, als gegeben genommen wurde. Jene, die diese Definition verwendeten, sahen kein Problem darin, daß korrumpierte Eliten Wahlverfahren zur Machterhaltung gegen die besten Interessen des Volkes verwenden könnten.

Die verfahrenstechnische Definition der Demokratie schließt daher das korrupte demokratische Regime nicht aus. Solange ein Land Wahlen abhalten kann, wird es immer noch als eine Demokratie betrachtet, ob die Regierung korrupt ist oder nicht. Befürworter der verfahrenstechnischen Definition glauben nicht unbedingt, daß Korruption in einem Wahlsystem vermieden werden kann und sprechen das Problem auch nicht an, daß das Wahlsystem dazu benutzt werden kann, korrupte Eliten zu erhalten. Wenn aber Korruption die Eliten bei der Manipulation des Wahlsystem unterstützt, dann wird Verantwortlichkeit und Rechenschaftslegung, der eigentliche Zweck des Wahlsystems, annulliert. Damit ungerechtfertigte Ansprüche auf Demokratie ausgeräumt werden können, muß die Auffassung eines demokratischen Regimes über die verfahrenstechnische Definition hinaus erweitert werden. Diese sollte die potentiell symbiotische Beziehung zwischen herrschenden Eliten, organisiertem Verbrechen und dem globalisierten Finanzsystem in Rechnung stellen.

Der Begriff der demokratischen Republik

Klassische Überlegungen zur republikanischen Theorie behandeln das Problem der Kontrolle der Macht, und die Demokratie ist lediglich eine Komponente eines eingeschränkten oder konstitutionellen Regimes. Die demokratische Republik ist in der Tradition das Hauptmodell einer gemischten Verfassung, die dafür entworfen worden ist, der Korrumpierung von Herrschern und Beherrschten zu begegnen.

Es hat zwei Typen gemischter Regimes gegeben. Der eine Typ, das klassische gemischte Regime wurde historisch aus monarchischen, aristokratischen und volksherrschaftlichen Elementen (Popularen) zusammengesetzt. Die römische Republik war entsprechend Beschreibung des Polybius ein funktionierendes Modell. Die Exekutivgewalt hatten zwei Konsuln inne, die den Staat verwalteten und die Vollmacht hatten, Krieg zu erklären. Der aristokratische Senat hielt die Hand auf den Finanzen, während von den Versammlungen der Popularen Belohnungen und Strafen ausgesprochen wurden. Der andere Typ, das moderne gemischte Regime, setzt sich zusammen aus Vollzugs-, Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsgewalt. Beiden Typen gemischter Regierungsformen ist die Bestrebung gemeinsam, Korruption, Tyrannei und Machtmißbrauch zu verhindern. Sie verlassen sich nicht ausschließlich auf den Wahlprozeß, um die Integrität und das Gleichgewicht des Regimes zu wahren. Das moderne gemischte Regime fügt der Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern noch die zwischen den Institutionen hinzu.

Die Schriften von Niccolo Machiavelli und Alexis de Tocqueville sind besonders lehrreich bezüglich der für eine verantwortliche Republik notwendigen institutionellen und kulturellen Komponenten. Sowohl für Machiavelli als auch Tocqueville ist die Erhaltung des republikanischen Regimes der grundlegende Zweck des demokratischen Prozesses. In der klassischen Formulierung Machiavellis wurde die Republik dafür entworfen, Tyrannei zuhause und Verlust an Autonomie nach außen zu vermeiden. Die Republik als ein gemischtes Regime im machiavellistischen Sinn vereint die Prinzipien von Monarchie, Aristokratie und Demokratie in einer Teilung der Gewalten, um Tyrannei, Entartung und Beherrschung von außen zu verhindern. In seiner modernen funktionellen Form teilt die Republik die Exekutiv-, Legislativ- und Judikativfunktionen des Staates, um dieselben Zwecke zu erreichen. In der klassischen Sicht sollten die demokratischen Prozesse dazu dienen, die Freiheit im Innern zu fördern und dem Staat die Loyalität des Volkes zu sichern, um sich gegen ausländischen Feinde verteidigen zu können. Das Problem des Verlustes der Autonomie des Staates aufgrund transnationaler ökonomischer Interessen wurde hier nicht berührt.

Die prozedurale Demokratie erreicht nicht die Ziele einer echten Demokratisierung, zu der weitere institutionelle und kulturelle Vorkehrungen in der Bürgergesellschaft erforderlich sind. Ein Regime, das durch die Verfassung gewährleistete Gewaltenteilung und eine moralisch fundierte Bürgerkultur einschließt, kann den Herausforderungen durch die Narkotisierung des Staates am wirksamsten begegnen. Solch ein Regime legt Gewicht auf Beiträge sowohl der Regierung als auch der Bürgerkultur zu einer wirkungsvollen Politik gegen den Rauschgifthandel. Das Regime muß auch Mechanismen unterstützen, um die transnationale ökonomische Umgebung unter Kontrolle zu bringen.

Der demokratische Bestandteil des republikanischen Regimes verpflichtet das Volk und gesteht ihm zugleich zu, sich darauf zu einigen, was in seiner Kultur gerecht und ungerecht ist und legt die gemeinsamen Standards fest, nach denen die Vertreter des Volkes zur Rechenschaft gezogen werden. Aus dieser Legitimationsquelle leiten sich die Gemeinschaftsprinzipien ab, nach denen das Volk die meisten seiner gesellschaftlichen, ökonomischen, geistlichen und auf die Regierung bezogenen Bestrebungen verfolgen kann, ohne sich auf eine zudringliche permanente Staatsbürokratie verlassen zu müssen. Eine unabhängige und selbständige Gesellschaft, eine gemischte politische Struktur und Mechanismen transnationaler ökonomischer Verantwortlichkeit sind die wesentlichen Bestandteile des modernen Demokratisierungsprozesses. Und dennoch kann eine sich aus der Gesellschaft heraus bildende Gegenkultur subversiv aus den Prozeß der Demokratisierung einwirken und dem Prozeß der Narkotisierung des Staates durch Unterstützung des Gebrauchs bewußtseinsverändernder Substanzen Vorschub leisten.

Narkotisierung und Anomisierung der Demokratie

Der Prozeß des Übergangs zu einem »Narkostaat« kann in stabilen oder konsolidierten Demokratien, in Übergangsdemokratien und in Autokratien auftreten. Wo immer dieses Phänomen auftritt, unterhöhlt es den verbreiteten demokratischen Frieden. Wenn Autokratie und Demokratie an den gegenüberliegenden Enden eines Kontinuums angeordnet werden, dann liegt das »anokratische« Regime, das eine Mischung aus demokratischen und autokratischen Merkmalen besitzt, in der Mitte dieses Kontinuums. Eine Definition der Anokratie, Anomie beschreibt diese als einen Staat ohne vermittelnde Institutionen, wo das Muster politischer Konkurrenz die Inhaber der Exekutivposition ständig der Gefahr der Entmachtung durch Rivalen ausgesetzt sind.

Ted Robert Gurr, »Persistence and Change in Political Systems, 1800 - 1971,« American Political Science Review 68, 4, (Dezember 1974), 1487. »Der anokratische Staat«, schrieb Gurr in Anmerkung, »hat minimale Funktionen, eine sich aller Institutionalisierung entziehende politische Konkurrenz und seine Exekutivführung wird ständig von rivalisierenden Führern gefährdet.«

Der anokratische Staat ist ein Zwischenzustand, wo sich Eliten trotz bestehender demokratischer Verfahren an der Macht halten.

Der in Richtung Regierungslosigkeit gehende Prozeß, »Anokratisierung«, bezeichnet die Auflösung entweder eines autokratischen oder eines demokratischen Staates in einen anokratischen Zustand hinein. Ein anokratischer Staat weist zwar noch die verfahrenstechnischen Merkmale der Demokratie auf, während er zugleich die Merkmale einer Autokratie bewahrt, in der sich die herrschenden Eliten keiner Verantwortlichkeit stellen müssen. Folglich kann Anokratisierung auch für eine Autokratie gelten, in der es sowohl Wahlelemente und Elemente von Wettbewerb gibt; aber auch für eine Demokratie, wo vorhandene verfahrenstechnische demokratische Merkmale unterhöhlt sind. Demokratisierung liegt vor, wenn ein autokratisches oder anokratisches System seine herrschenden Elemente der Verantwortlichkeit unterwirft. Autokratisierung liegt da vor, wo sogar die Fassaden demokratischer Verfahren wegfallen.

Edward D. Mansfield und Jack Snyder haben Kennzeichen für Demokratie oder Autokratie Merkmale wie folgt unterschieden: »Wir betrachten Staaten als sich demokratisierend, wenn sie während eines gegebenen Zeitraums von Autokratie zu entweder Anokratie oder Demokratie überwechseln oder wenn sie von Anokratie zu Demokratie überwechseln. Umgekehrt betrachten wir Staaten als sich autokratisierende, wenn sie von Demokratie zu Autokratie oder Anokratie oder von Anokratie zu Autokratie überwechseln«. Edward D. Mansfield und Jack Snyder, »Democratization and the Danger of War«, International Security 20, Nr 1 (der Sommer 1995), 9. (Kursiv im Original.)

Hier wird gleichwohl die Bezeichnung »anokratisch werdend« (ein regierungsloser Zustand) für alle Prozesse in Richtung des anokratischen Staates verwendet, ob von einer Demokratie oder einer Autokratie herkommend. »Demokratisieren« wird nur verwendet, um einen Prozeß in Richtung Demokratie zu beschreiben, und »autocratisch werdend« ein entsprechnder Prozeß in Richtung Autokratie. Ebenso wird hier der Ausdruck »Anocratisierung« verwendet, um den falschen Demokratisierungsprozeß einer Autokratie und den Umkehrprozeß weg von einer fundierten Demokratie zu beschreiben.

Wenn ein Staat der Auflösung, »Anokratie«, entgegengeht, kann er nicht mehr zu den Herrschaftsformen gezählt werden, die der These vom demokratischen Frieden entsprechen, denn Konflikt ist da, wo Demokratien in Wirklichkeit Anokratien sind, äußerst wahrscheinlich.

Gegenwärtig scheint die Narkotisierung des Staates der allgemein verbreitete Prozeß zu sein, in dem die Anokratisierung einer Demokratie, einer Autokratie oder einer Autokratie im Übergang zu einer Demokratie begünstigt wird. Wo der Übergang zu einem Narkostaat Platz greift, kann das, was ein sich demokratisierender Staat zu sein scheint, tatsächlich ein Zustand der Anokratisierung sein, der Konflikte hervorbringt.

Legitimität und Korruption

Die kriminelle Durchsetzung des Staates in einem Übergang zum Narkostaat läßt zu daß eine wertfreie Definition der Demokratie die Realität verdunkelt, wer oder was wirklich die politische Macht innehat. Die Narkotisierung des Staates enthebt gewählte Beamte ihrer Verantwortlichkeit und unterhöhlt damit die demokratischen Vorkehrungen gegen Machtmißbräuche.

Die Legeitimität eines politischen Systems ist in demselben Grade fest gegründet, zu dem es Machtmißbrauch verhindert. Wenn ein politisches System Machtmißbrauch zuläßt, unabhängig von seiner institutionellen Form, verliert es seine Legitimität oder das Recht, von seine Bevölkerung Gehorsam zu fordern. Wo die Macht dazu gebraucht wird, die Bürger, ganz gleich unter welchem institutionellen Etikett, zu korrumpieren oder zu mißbrauchen, ist die Regierung unverantwortlich. Dadurch bringt die politische Korruption Tyrannei hervor, den unverantwortlichen Gebrauch der Macht.

Seit der Unabhängigkeitserklärung haben Amerikaner unverantwortliche Regierungen als tyrannisch betrachtet, wenn sie den Bürgern entweder Leben, Eigentum oder Freiheit beschneiden oder entziehen. Gemäß amerikanischen Prinzipien hat eine Regierung das Recht, zur Strafverfolgung, zur Besteuerung und zum Freiheitsentzug nur, wenn das Volk in ihr angemessen vertreten wird.

Wenn die Narkotisierung des Staates den Begriff des Gemeinwohls entstellt und Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern verhindert, dann wird der Begriff des republikanischen Staates, der ausdrücklich mit dem Ziel entworfen wurde, den Machtmißbrauch der demokratisch gewählten Vertreter in Schranken zu halten, ins Gegenteil verkehrt. Der komplexe institutionelle Aufbau der republikanischen Herrschaftsform weist der Wählbarkeit der Vertreter und ihrer Verantwortlichkeit einen hohen Stellenwert zu. Demokratie fordert ebenso wirkungsvolle Kontrollinstanzen, die die Gewählten zwingen, verantwortlich und aufrichtig in der Ausübung des ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes zu bleiben. Das demokratische Verfahren ist nicht das Ziel an und für sich. Letztlich überwiegt der Vorrang der Verantwortlichkeit der Führer über die Methode ihrer Auswahl. Verfahren dürfen weder elitäre Führung verschleiern noch an Stelle echter Verantwortlichkeit treten.

Korruption und die kriminelle Durchsetzung des Staates stellen für die wert- und zweckfreie Definition der Demokratie mit Notwendigkeit eine Herausforderung dar. Die zeitgenössische amerikanische politische Wissenschaft hat den wertfreien, szientistischen Ansatz der Demokratie im Blick, bei dem normative Kriterien auszuschließen versucht werden. Dwight Waldo definiert politische Wissenschaft als »einen Versuch, alle >oughts< zu vermeiden, Sorgfalt bei der Formulierung von Hypothese walten zu lassen, die Bemühung, Spuren zu hinterlassen, denen man folgen kann - >Wiederholbarkeit< - sowie Vorsicht bei Schlußfolgerungen aus besonderen Studien mit der sich immer rasch ausweitenden Aufstellung von Verallgemeinerungen«.

Dwight Waldo, Political Science in America (Paris: UNESCO, 1956), 21-22.

Diese Definition einer szientistischen politischen Wissenschaft ist die tragende und vorwiegende Wahrnehmung von Demokratie in der zeitgenössischen politischer Wissenschaft und wird als »verfahrenstechnische« Definition der Demokratie. Sie betont die Prozesse der Demokratie, um die Analyse von Werturteilen über die Demokratie unabhängig zu machen. Eine Mehrheit amerikanische Politikwissenschaftler stimmt wahrscheinlich mit der verfahrenstechnischen Definition der Demokratie überein.

Joseph Schumpeter definiert Demokratie als »jene institutionelle Anordnung zur Erzielung politischer Entscheidungen, in der Personen die Entscheidungsmacht mit Hilfe eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen der Wähler erwerben«.

Joseph Schumpeter, Capitalism, Socialism und Democracy (New York: Harper & Brothers, 1947), 269.

Samuel P. Huntington pflichtet Schumpeters Definition bei. Beide Männer betrachten eine minimale und verfahrenstechnische Definition als die Basis von Verallgemeinerungen über die Demokratie. Huntington schreibt, daß seine Studie »ein politisches System des zwanzigsten Jahrhunderts als demokratisch in dem Grade definiert, daß seine mächtigsten kollektiven Entscheidungsträger durch faire, ehrliche und regelmäßig wiederkehrende Wahlen ausgewählt werden, in denen Kandidaten eindeutig um die Stimmen kämpfen und in denen praktisch die gesamte erwachsene Bevölkerung wahlberechtigt ist«.

Samuel Huntington, The Third Wave (Norman: University of Oklahoma Press, 1991), 7.

Die strikt prozedurale Definition bei Schumpeter-Huntington wird in Robert Dahls Büchern zu Demokratie und Polyarchie operabel gemacht, in denen er als inklusive Teilnahme gewährende Regimes solche, die auf Parteienwechsel oder -einspruch beruhen, definiert.

Robert A. Dahl, Polyarchy: Participation and Opposition (New Haven, Conn: Yale University Press, 1971), 6-7.

(Die Verbindung zwischen Einspruch und Teilnahme ist in Abbildung 1 beschrieben. Nicht in dieser html-Version enthalten) ...

Die Verteidigung der verfahrenstechnische Definition wird mit ihrer Nützlichkeit und der Unzulänglichkeit von Alternativen begründet. Dahl argumentiert, »selbst wenn jemand die äußerste Position einnehmen würde, daß eine Verschiebung von einer Hegemonie zur Polyarchie niemals wünschenswert wäre, würde, denke ich, die Bedingungen kennen wollen, die solch eine Änderung verhindern. In diesem Sinn beabsichtigt die Analyse, von meinen Einstellungen oder Voreingenommenheiten zugunsten der Polyarchie unabhängig zu sein«. Obwohl Dahl eine Voreingenommenheit zugunsten einer Polyarchie eingesteht, nimmt er gleichwohl nicht an, »daß eine Verschiebung von der Hegemonie [einer vorherrschenden Macht] in Richtung Polyarchie unvermeidlich wünschenswert ist«.

Ibid ., 31-32.

(Abbildung 2 nicht in dieser html-Version enthalten) ...

Samuel Huntingtons Nützlichkeitskonzept ist ähnlich, geht aber weiter. Er erkennt an, daß die verfahrenstechnische Definition einiger Verfeinerungen bedarf. Kritik an seiner Definition vorwegnehmend - nämlich, daß Regierungen »ineffizient, korrupt, kurzsichtig, unverantwortlich, von Sonderinteressen beherrscht oder unfähig sein könnten, Maßnahmen im Interesse des Gemeinwohls durchzusetzen« - versichert er, daß diese »Eigenschaften derartige Regierungen unerwünscht erscheinen lassen, aber darum noch nicht undemokratisch«.

Huntington, Third Wave, 10.

Er fährt fort mit der Behauptung, daß Demokratie nur eine öffentliche Tugend ist und nicht die einzige. Für ihn kann die Verbindung von Demokratie mit anderen öffentlichen Tugenden und Lastern »nur verstanden werden, wenn Demokratie eindeutig von anderen Merkmalen politischer Systeme unterschieden wird«.

Ibid.

Neben der Nützlichkeit dieser Rechtfertigung der nicht-normative Bestimmung der Demokratie wird der Ansatz Schumpeters von der angeblichen Unzulänglichkeit der alternativen klassischen Begriffsbestimmung gestützt. Schumpeter definiert die klassische Theorie als »jene institutionelle Vorkehrung zur Erreichung politischer Entscheidungen, welche das Gemeinwohl dadurch verwirklicht, daß die Öffentlichkeit selbst öffentliche Angelegenheiten durch Wahlen von Individuen entscheidet, die sich zu dem Zweck versammeln sollen, ihren Willen auszuführen«. Schumpeter behauptet, daß es so etwas wie »ein einzigartiges Gemeinwohl, dem alle zustimmen könnten oder durch die Kraft des vernünftigen Arguments zur Zustimmung gebracht werden könnten«, nicht gebe. Zur Begründung dieser Behauptung führt er an, daß (1) »für verschiedene Personen und Gruppen zwangsläufig Verschiedenes bedeutenmuß«, und (2) daß selbst wenn sich ein bestimmtes Gemeingut als für alle annehmbar erwiesen hat, »dies noch nicht gleich klar bestimmte Lösungen für einzelne Angelegenheiten mitbedingt«. Er folgert daraus, daß die Stärke dieser beiden Voraussetzungen bedeutet, daß der Begriff des Volkswillens verschwindet.

Schumpeter, Capitalism, 250-52.

Die Betonung des Verfahrens, womit Schumpeter die klassischen Theorie als erledigt abtut, transformiert die demokratische Theorie zu einer Hervorhebung der Konkurrenz zwischen Eliten. Demokratie als ein System der Verfahrenstechnik System heißt, daß die Bürger in regelmäßigen Abständen »die Gelegenheit haben, die Männer, die sie regieren sollen, zu akzeptieren oder abzulehnen«.

Ibid ., 285.

Diese Definition legt einen Vergleich mit Gaetano Moscas Begriff der herrschenden Klasse nahe. Die Annahme des Prozeduralismus, mit der die Definition einer durch eine herrschende Klasse dominierten Demokratie eingeführt wird, setzt voraus, daß eine Elite in der Lage ist, sich an der Regierung zu halten, gänzlich unabhängig von Einspruch oder einschließender Beteiligung. Mosca stellt fest, daß »in allen Gesellschaften ... zwei Klassen von Menschen erscheinen - eine Klasse, die herrscht, und eine Klasse, die beherrscht wird«. Er fährt fort, »Was in anderen Regierungsformen vor sich geht - daß nämlich eine organisierte Minderheit der unorganisierten Majorität ihren Willen auferlegt - geschieht auch und bis zur Vollkommenheit, entgegen allem Anschein, unter dem repräsentativen System. Wenn wir sagen, daß die Wähler ihre Vertreter >wählen<, verwenden wir die Sprache sehr ungenau. Die Wahrheit ist, daß der Vertreter sich selbst durch die Wähler gewählt hat.«

Gaetano Mosca, The Ruling Class (New York: McGraw Hill, 1939), 50, 154.

Antielitäre Theoretiker haben den Vorwurf erhoben, daß die amerikanischen Politikwissenschaftler eine elitäre Theorie der Demokratie hinnehmen. Giovanni Sartori wurde als Vertreter dieser Ansicht ausgemacht, wofür seine frühen Schriften über demokratische Theorie als Beleg angeführt worden sind. Aber in seinen späteren Schriften bestreitet Sartori ausdrücklich, eine elitäre Theorie zu vertreten. Er bezichtigte im Gegenzug die sogenannten antielitären Theoretiker, die eigentlich Elitären zu sein. Seine Analyse der antielitären Kritik stellt klar, daß in seiner Sicht die verfahrenstechnische Definition auf Normen beruht, die im Grundsatz Tyrannei oder Unverantwortlichkeit vermeiden sollen. Er versicherte, daß die verfahrenstechnische Definition nicht ausschließlich im Hinblick auf ihre Teilnahmefunktion zu sehen sei, sonder auch und gleichermaßen auf ihre selektive Funktion. Diese Funktion ist entscheidend, weil es ihr Zweck ist, worauf seine Diskussion der Gründung Amerikas hingewiesen hat, Tyrannei zu verhindern.

Sartoris Kritik an der antielitären Theorie findet man in Giovanni Sartori, The Theory of Democracy Revisited (New Jersey: Chatham House Publishers, 1987, unter), 156-63.

Trotz der angeblichen moralischen Neutralität der verfahrenstechnischen Bestimmung und ihrer scheinbaren Abweichung in Richtung Eliten brachten politische Wissenschaftler wie Sartori den Zweck von Wahlen wieder in die Diskussion der Demokratie ein. In Anbetracht der Umständen mußten jene, die die verfahrenstechnische Definition lediglich als Operabilitätsvorrichtung anzuwenden neigten, ihren Standpunkt modifizieren.

Verschiedene Autoren haben den Versuch unternommen, Übergänge und Konsolidierungen autoritärer Regimes (oder in Dahls Terminologie »geschlossene Hegemonien«) zu behandeln und haben ebenso versucht, eine Anzahl von Varianten zur Kennzeichnung von Regimen aufzuzählen, die sowohl Einspruch als auch inklusive Beteiligung umfassen. Zum Beispiel stimmen besonders jene Gelehrte, die sich mit Lateinamerika befassen, darin überein, daß Demokratie »am besten definiert und angewandt werden kann anhand der verfahrenstechnischen Kriterien, die Robert Dahl ... angegeben hat.« Ihre Beobachtung dabei ist, das »kein reales Regime der Welt zum Idealtyp vollkommen paßt«, und sind darum besorgt, daß Demokratie nur »wenig mehr als eine Fassade sein könnte, hinter der eine privilegierte ökonomische Elite die Klassen des Volkes beherrscht und ausbeutet«.

Michael Burton, Richard Gunther und John Higley, »Introduction: Elite Transformation and Democratic Regimes«, in John Higley und Richard Gunther, eds., Elites and Democratic Consolidation in Latin America und Southern Europe (Cambridge: Cambridge University Press, 1992), 1.

Im Ergebnis treten Gelehrte, die empirische die lateinamerikanische Politik untersuchen, nicht für eine einfache Unterscheidung zwischen demokratischen und undemokratischen Regimes ein. Stattdessen führen sie verschiedene Stufen im demokratischen Prozeß ein und versuchen, die Möglichkeiten für eine Umkehrung ausfindig zu machen. Diese Modifikationen brechen nicht völlig mit anderen verfahrenstechnischen Definitionen noch ändern sie etwas am elitären Charakter des verfahrenstechnischen Ansatzes: »Ein Schlüssel zu Stabilität und Überleben demokratischer Regimes ist nach unserer Ansicht die Erzielung eines grundlegenden Konsenses unter den Eliten über die Regeln des demokratischen politischen Spiels und den Wert demokratischer Institutionen«.

Ibid ., 3.

Andere Experten zu Lateinamerika haben sich bemüht, zwischen dem Übergangsstadium von autoritärer Regierung und der Konsolidierung eines demokratischen Regimes zu unterscheiden. Sie glauben, daß eine Minimal- und Prozeduraldefinition der Demokratie nur auf dieses Übergangsstadiumvon Autokratie oder einer autoritären Regierung zur Errichtung demokratischer Verfahren anwendbar ist. Sie argumentieren, daß der zweite Übergang, der Wechsel zu einer konsolidierten Demokratie«, Probleme aufwirft, »die weiter greifen als jene, die in einem strengen Sinn für die Umwandlungsphase eines politischen Regimes gelten«. Sie ziehen dabei in Betracht, daß das zweite Übergangssstadium, die zur Konsolidierungsphase prekär ist.

Scott Mainwaring, Guillermo O'Donnell und J. Samuel Valenzuela, eds., Issues in Democratic Consolidation: The New South American Democracies in Comparative Perspective (Notre Dame, Ind: University of Notre Dame Press, 1992), 5.

J. Samuel Valenzuela identifiziert vier pervertierte Institutionen und sieht als eine fundierte Demokratie jenen Zustand an, in dem diese Elemente fehlen. Die pervertierten Institutionen sind

1. Vormundschaftliche Machtausübung, für die das Militär als Hauptbeispiel gilt.

2. Reservierte Bereiche von Autorität in der Politik, die von der Kontrolle durch gewählte Amtsträger ausgeschlossen sind.

3. Diskriminierung im Wahlprozeß, wo signifikante Teile der Bevölkerung entweder im Unmaß unter- oder überrepräsentiert sind.

4. Fehlen der zentralen Alleinentscheidung durch Wahlen oder eine Situation, wo Wahlen nicht das einzige Mittel zur Bildung von Regierungen sind.

J. Samuel Valenzuela, »Demokratic Consolidation in Post-Transitional Settings: Notion, Process and Facilitating Conditions«, in Mainwaring, O'Donnell und Valenzuela eds., Democratic Consolidation, 62-68.

Von Interesse bei der Diskussion von Eliten und demokratischer Konsolidierung im Zusammenhang der verfahrenstechnischen Definition der Demokratie ist das dabei auftauchende Problem, daß die auf Wahlen gegründete Definition der Demokratie nicht hinreichend ist. Für Michael Burton, Richard Gunther und John Higley ist die Einheit der Elite unerläßlich und für Valenzuela ist die Abwesenheit von pervertierten Institutionen unabdingbar.

Burton, Gunther und Hegley, »Elite Transformation« und Valenzuela, »Democratic Consolidation«.

Obwohl die Marktwirtschaft den Übergangs- und Konsolidierungsprozeß stützt, indem sie die ökonomische Eigenständigkeit der Gesellschaft stärkt, kann Korruption oder kriminelle Durchsetzung der Marktwirtschaft von Eliten ausgebeutet werden. Geldmittel, die von korrupten Elementen besorgt werden, erlauben korrupten Eliten, von legitimen finanziellen Interessen unabhängig zu werden und jene Kandidaten zu besiegen, die solche legitimen Interessen unterstützen. Unter solchen Umständen verschleiern demokratische Verfahren ihre Unverantwortlichkeit gegenüber der Allgemeinheit. Diese Unverantwortlichkeit wird erfährt durch die Globalisierung der finanzkapitalistischen Ökonomie noch eine Verschärfung. Mit der Zunahme korrupter politischer Regimes entgleitet die transnationale kapitalistische Ökonomie noch mehr einer Steuerung durch rechtmäßig gewählte Amtsträger.

Der eigentliche Gedanke der von Zustimmung wird problematisch, sobald regierende Eliten als in der Lage gesehen werden, sich aufgrund globaler Verflechtungen der Verantwortlichkeit zu entziehen, was der herrschenden Klasse einer Nation schrankenlose ökonomische Macht gibt. David Held leistete Pionierarbeit für die theoretischen Folgewirkungen dieses Problems, als er schrieb, »Nationen verkünden gerade in dem Moment, in dem Veränderungen in der internationalen Ordnung die Lebensfähigkeit des unabhängigen demokratischen Nationalstaats gefährden.« Held, »Democracy«, 197.

Selbst eine flüchtige Prüfung der als »demokratisch« klassifizierten Regimes umfaßt ein breites Spektrum institutioneller Rahmenbedingungen. Es gibt darüber eine anwachsende Literatur, welche die Auswirkung verschiedener verfassungsmäßiger Rahmenbedingungen (zum Beispiel Parlamentarismus im Unterschied zur Präsidentialdemokratie) auf Konsolidierungen zur Demokratie erörtert. Studien zur Demokratie untersuchen die institutionellen Formen demokratischer Regierung, die am meisten Stabilität bieten. Diese Suche lebt von der Voraussetzung, daß Demokratie eine gute Regierungsform auf der Grundlage des Prinzips der Verantwortlichkeit ist.

Während sie den Begriff der Korruption aus ihre Studie über Demokratie ausschließen, stellen verfahrenstechnische demokratische Theoretiker folgende Fragen an über die Vermutung des Vorhandenseins einer Demokratie:

1. Welche Bedingungen erhöhen oder vermindern die Chancen, ein hegemoniales Regime zu demokratisieren?

2. Welche Faktoren erhöhen oder vermindern die Chancen öffentlichen Einspruchs?

3. Welche Faktoren befördern oder verzögern Beteiligung?

Um mit der Narkotisierung des Staates als Hauptmittel zur Überwältigung der Verantwortlichkeit in einer globalisierten Ökonomie fertig zu werden, müssen die normativen Gesichtspunkte von Korruption in eine Theorie der Demokratie miteinbezogen werden. Schumpeters Beschreibung der klassischen Theorie unterläßt es zu berücksichtigen, wie Korruption die essentielle Verantwortlichkeit in der Demokratie (ihre Legitimation) überwältigen kann, während sie die äußere Form der Demokratie wahrt. Es erweist sich als substantiell, daß die demokratischen Verfahren Verantwortlichkeit hervorbringen und Tyrannei verhindern. Gleichzeitig gewährleisten die Verfahren selbst solche Verantwortlichkeit nicht, wenn ein bestimmter Grad an Korruption erreicht ist.

Wir werden später sehen (Kapitel 7) wie Korruption in einem Regime mit demokratischen Kennzeichen zu einer Anokratie oder einem pseudodemokratischen Staat führt.

Demokratischer Republikanismus als die Alternative zur Prozeduraldemokratie

Die Alternative zur Prozeduraldemokratie ist demokratischer Republikanismus, der explizit am Problem der Korruption einhakt und danach strebt, Zerfall und den Machtmißbrauch der Politiker zu verhindern. Demokratischer Republikanismus bietet eine alternative Grundlegung der demokratische Theorie, in der das Hauptaugenmerk sich darauf richtet, wie Macht mißbraucht werden und der Prozeß der verantwortlichen Entscheidungsbildung korrumpiert werden kann. Demokratischer Republikanismus basiert historisch auf dem gemischten Regime, wo die verantwortliche Beteiligung des Volkes zum Angelpunkt für die Bewahrung von Verantwortlichkeit der Regierung wird.

Die Normen der demokratischen Republik wurden dafür entwickelt, um den Problemen der Tyrannei zu begegnen, um die Unabhängigkeit eines Staates gegenüber anderen Staaten zu erhalten und die Freiheit innerhalb des Staates zu fördern. Demokratischer Republikanismus betrachtet Beteiligung als eine Erscheinungsform eines disziplinierten Volkes, ist bestrebt, Wahldespotie zu vermeiden, befürwortet ein gemischtes Regime und ist geprägt von der Furcht vor der Korrumpierung der Allgemeinheit und derer, die im Dienst an der Allgemeinheit stehen. Dieses Buch stellt sich die Aufgabe, über die klassischen Belange des demokratischem Republikanismus hinauszugelangen und sich mit den Herausforderungen zu befassen, die aus der Globalisierung der Weltwirtschaft und der Bedrohung durch Korruption entstanden sind.

Politische und philosophische Anthropologien

An eine normative politische Wissenschaft kann von Seiten zwei Seiten herangegangen werden: von der politische und von der philosophische Anthropologie. Die eine stellt fest, wie eine Gesellschaft sich selbst versteht und sich verhält, die andere, wie alle Gesellschaften beurteilt werden und wovon sie sich leiten lassen sollten.

Politische Anthropologie setzt mit dem Verständnis einer politischen Gesellschaft bei dem an, wie sie sich selbst wahrnimmt. Menschliche Aktivitäten müssen in bezug auf die Bedeutungen verstanden werden, die die Handelnden in einer Gesellschaft ihnen zuschreiben. Die politische Ordnung, in der Menschen leben, ist normativ im Sinne des Verständnisses der Menschen, was sie in einer gegebenen Gesellschaft tun oder unterlassen sollten. Die Regeln der einen Gesellschaft lassen sich nicht unbedingt auf die einer anderen übertragen. Politische Anthropologie liefert uns ein relatives Verständnis von Gesellschaften. Die Existenz der Bevölkerung oder ihrer wirklichen Situation in einer Gesellschaft wird angeleitet von dem, was erlaubt und nicht erlaubt ist. Die Angehörigen einer Nation haben keine andere Wahl außer in der so hingenommenen Sozialordnung dieser Nation zu leben. Da wo die »Richtigkeit« dieser Ordnung in Frage gestellt oder bewertet wird, beginnt das Studium der philosophischen Anthropologie.

Die Griechen haben für die philosophische Anthropologie Pionierarbeit geleistet. Sie akzeptierten die Existenz einer Stammesordnung, idios kosmos, und die Regeln dieser besonderen Ordnung oder Stadtstaates. Es existierte auch eine Universalordnung, ein koinos kosmos, von der sich die universellen Maßstäbe zur Beurteilung aller besonderen Ordnung hergeleitet waren. Sokrates, Plato und Aristoteles glaubten alle an diese Universalordnung. Der koinos kosmos war allen Stammesordnungen überlegen und diente als Grundlage für die Beurteilung einer jeden einzelnen. Die philosophische Anthropologie der Griechen machte den koinos kosmos als letzte Wahrheit geltend, als Logos für die ganze Menschheit.

Für eine weitere Diskussion dieser Fragen siehe Anthony H. Birke, The Concepts and Theories of Modern Democracy (New York: Routledge, 1993). Nützlich ist auch William C. Havard, The Recovery of Political Theory: Limits and Possibilities (Baton Rouge: Louisiana State University Press, 1984).

Für Heraklit, den Wegbereiter des Gedankens vom Logos war der Logos das Ordnungsprinzip, das die Existenz des Universums bestimmte. Der Logos war die Brücke zwischen der griechischen Welt und dem Christentum. Der Logos verlieh einer Person Vernunft und die Erkenntnis der Wahrheit nicht allein der physischen Welt oder der Welt der Natur, sondern auch der menschlichen Veranstaltungen: »Gott lenkt alle Dinge durch den Logos. Der Logos ist es, der der Welt Sinn verleiht, der die Welt zu einer Ordnung statt einem Chaos macht, die Macht, die den Anfang der Welt setzt und sie in ihrer Vollkommenheit erhält. Der Logos,« sagten die Stoiker, »waltet in allen Dingen«.

William Barclay, The Daily Bible Study Series, rev. ed. (Philadelphia: Westminster Press, 1975), 35.

Die Brücke zwischen der griechischen Welt und dem Christentum kam zustande mit der Ineinssetzung des Wortes Christi mit dem Logos. Das Christentum verbreitete die Idee des Logos und pflanzte damit die philosophische Anthropologie in die westliche Kultur. Die praktische Anwendung der philosophischen Anthropologie konfrontiert mit der Frage, ob ein universaler Maßstab in den tatsächlichen Umständen angesetzt werden könnte oder sollte, und, wenn ja, wie.

Machiavelli und Tocqueville

Niccolo Machiavelli und Alexis de Tocqueville sind zwei allseits bekannte klassische Theoretiker des demokratischem Republikanismus. Beide wenden sie die Methoden der politischen und philosophischen Anthropologie an, um zu bestimmen, wie eine bestehende politische Gesellschaft reformiert werden kann. Während sie in verschiedenen Jahrhunderten schrieben, wählten sie je einen Staat als Grundlage aus, um zu beschreiben, wie eine gute Ordnung funktioniert und wie die daraus zu ziehenden Lehren auf andere Länder übertragen werden können. In den 1500ern schrieb Machiavelli über Rom, um das Funktionieren einer Republik darzulegen und sowohl die Schwierigkeiten als auch Aussichten für die Reform seines Heimatstaates Florenz sowie die Vereinigung Italiens zu erläutern. Tocqueville schrieb über die Vereinigten Staaten im frühen 19. Jahrhundert, um den Erfolg des amerikanischen Republikanismus zu veranschaulichen, aber auch um Vorschläge zu unterbreiten, wie sein Heimatland Frankreich Tyrannei und Rückschritt beim Übergang zur Demokratie vermeiden könnte. Beide Denker mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe praktizieren die klassischen Methoden der politischen und philosophischen Anthropologie.

Machiavelli und Tocqueville geht es nicht in erster Linie darum, absolute normative Maßstäbe einzuführen. Ihnen ist es mehr darum zu tun, was ein System zum Funktionieren bringt und wie das System eines anderen Staates diesem nacheifern kann. Ihre Ansichten sind denen von Theoretikern der verfahrenstechnischen Demokratischie ähnlich in dem Sinne, daß sie nicht versuchen, absolute normative Maßstäbe zu begründen. Machiavelli und Tocqueville bereichern unser Konzept vom Zweck des demokratischen Verfahren und vertiefen unser Verständnis dessen, wie ein die Freiheit erhaltendes demokratisches Regime funktionieren sollte. Sie argumentieren, daß die Werte, derer ein Volk bedarf, um eine demokratische Republik aufrechtzuerhalten, eine Begründung aus der Religion heraus voraussetzen. In diesem Sinne sind sie praktische philosophische Anthropologen - sie verwenden die Idee des »Guten« für die Zwecke der Reform.

Machiavelli

Machiavellis Methodologie beginnt mit der Annahme, daß die menschliche Natur feststeht und im Grunde genommen schlecht ist. Er schrieb

Alle Städte und alle Völker sind stets von denselben Begierden und denselben Leidenschaften angetrieben worden; so daß es leicht fällt, nach eifrigem Studium der Vergangenheit vorauszusehen, was mit Wahrscheinlichkeit in der Zukunft einer jeden Republik geschehen kann und jene Abhilfen anzuwenden, die von den Menschen des Altertums verwendet wurden, oder, wenn sich keine solchen finden lassen, anhand der Ähnlichkeit der Ereignisse neue zu entwerfen. Da aber solche Erwägungen von den meisten derer, die lesen, vernachlässigt oder nicht verstanden werden, oder, wenn von diesen verstanden, jenen unbekannt sind, die regieren, folgt daraus, daß dieselben Schwierigkeiten im allgemeinen in allen Republiken wiederkehren.

Niccolo Machiavelli, The Discourses (New York: The Modern Library, 1950), 216.

Für Machiavelli stand fest, daß das entscheidende Ereignis für die dauerhafte Grundlegung eines Staates die Aufstellung guter Gesetze ist. Gute Gesetze sind für die Selbstzucht des Volkes wesentlich, weil nach Machiavelli ein diszipliniertes Volk das Schicksal meistern kann. Er war überzeugt, daß die Verbindung von guten Gesetzen und Disziplin für die Freiheit vorteilhaft sind. Paradoxerweise glaubte er, daß die Freiheit sich aus dem Streit der beiden Seiten ergeben würde, die in jedem Staat vorzufinden sind: des Adels und des Volkes. Diese Erregungen im Streit hielt er für notwendig, weil »jeder freie Staat es sich leisten sollte, dem Volk Gelegenheit zu geben, seinem Unmut Luft zu verschaffen«. Nach Machiavellis Analyse erfüllt das Volk eine normgebende Rolle und fördert damit die Freiheit. Sein Gedanke war, daß dies besonders zutrifft, wenn die Republik die Reichsgründung anstrebt. Diese Reichsbestrebung befürwortete Machiavelli, weil nach seiner Auffassung ein vereinigtes Italien sich gegen die Einmischung der Nachbarn zu verteidigen in der Lage war.

Machiavelli untersuchte, wie die Römer Disziplin entfalteten, die es diesem Volk erlaubte, sowohl seine innere Freiheit als auch die äußere Autonomie des römischen Staates zu schützen. Für ihn war die Religion der Schlüssel zu Einheit, Freiheit und imperialer Größe Roms. Der Gründer der Republik, Numa, hatte nach seiner Beobachtung die wilden Römer zu bürgerlichem Gehorsam auf Grund der Religion bezähmt. Religion war die Quelle der Selbstzucht der römischen Staatsbürger, die »eher einen Eid zu brechen fürchteten als die Gesetze«. Daraus schloß Machiavelli, daß Religion die Quelle römischer Zucht war und daß diese Quelle der Zucht eine universale Notwendigkeit für alle freien Völker war und schrieb, »Es hat nie einen bemerkenswerten Gesetzesgeber in irgendeinem Volk gegeben, der nicht auf göttliche Autorität zurückgegriffen hätte, weil seine Gesetze sonst nicht vom Volk angenommen worden wären«.

Ibid ., 146, 147.

Die Verallgemeinerung, zu der Machiavelli die Folgerungen aus seiner Analyse Roms zusammenfaßte, besagte, daß Religion das entscheidende Element ist, um eine demokratische Republik aufrechtzuerhalten. Ohne jeden Vorbehalt konstatierte er, daß »die Achtung göttlicher Institutionen die Ursache für die Größe von Republiken ist, so daß deren Mißachtung ihren Ruin herbeiführt, es sei denn, sie werden von der Furcht vor dem Fürsten aufrechterhalten, der eine Zeit lang das Bedürfnis der Religion erfüllen kann«. Dieses Verständnis der grundlegenden Bedeutung der Religion für die Republik erhebt das Problem der Verderbnis zum alles entscheidenden für das Überleben des Regimes. Machiavelli war über die Korruption des Volkes mehr besorgt als über die der Regenten. Er war zuversichtlich, daß, wenn der Regent oder Fürst korrupt ist, das Volk dagegen verläßlich bleibt, die Freiheit wiederhergestellt werden kann. »Ein korruptes Volk, daß unter der Regierung eines Fürsten lebt, kann niemals frei werden«, schrieb er. »Wo Korruption das Volk durchdrungen hat, richten die besten Gesetze nichts aus, es sei denn, sie werden von einem Mann mit solcher Übermacht verwaltet, daß er die Befolgung der Gesetze erzwingen, bis die Masse zu einem gesunden Zustand zurückgefunden hat. Und ich weiß nicht, ob solch ein Fall jemals eingetreten ist oder ob es überhaupt möglich ist, daß er jemals eintreten könnte«.

Ibid ., 148, 165, 166.

Machiavellis Studium des Verfalls von Rom kam zu der Schlußfolgerung, daß Korruption aus der Entwicklung große Ungleichheiten der Vermögen in der Republik herrührte. Die Korruption bewirkte eine Veränderung und Verzerrung der Gesetze, so daß die verdienstvollsten Menschen des Landes sich zunehmend vom Dienst an der Republik abwandten und schließlich ganz von den öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen wurden. Im Laufe der Jahrhunderte haben Kritiker Machiavellis Behauptung bezweifelt, daß die Wiederherstellung guter Sitten üble Mittel erfordert. Daß er sich auf auf den Gebrauch übler Mittel verließ, war begründet in seinem Schluß, daß es nahezu unmöglich ist, die Freiheit, »in einer Republik, die korrupt geworden ist, aufs neue wiederherzustellen«. Eine korrupte Republik würde unweigerlich durch eine Monarchie ersetzt, war seine Gewißheit, weil der Verlust der moralischen Disziplin ein »fast königliche Macht« zu Lenkung des Staates erheischte.

Tocqueville

Tocquevilles Methodologie war der von Machiavelli ähnlich. Er studierte die Funktionsweise der Demokratie in den Vereinigten Staaten, um zu verstehen, wie eine Bedrohung der Freiheit in Frankreich durch die Demokratie verhindert werden konnte. Im Dezember 1836 schrieb er an seinen Freund Louis de Kergorlay, daß der Zweck seiner Untersuchung war, »den Leuten so weit als möglich zu zeigen, was man tun muß, um Tyrannei und Degeneration zu vermeiden, während die Verhältnisse demokratisch werden«.

Michael Hereth, Alexis de Tocqueville: Threats to Freedom in Democracy (Durham, N.C.: Duke University Press, 1986), 108.

Tocqueville war überzeugt, daß zu seiner Zeit keine Alternative zur Demokratie gab, aber er fürchtete, daß sich Tyrannei auch aus dem demokratischen System erheben konnte. Er beobachtete, daß die Amerikaner in ihrer demokratischen Republik Tyrannei vermieden hatten, und war bestrebt herauszufinden, wie sie dies vermocht hatten, um Frankreich dabei zu helfen, eine Tyrannei ebenso zu vermeiden.

Tocqueville bemerkte, daß die geographischen Umstände und die amerikanischen Gesetze die Freiheit des Landes begünstigten. Dennoch hielt er daran fest, daß die Hauptursache, die die demokratische Republik als ein freies Gemeinwesen erhielt, in den Sitten und Gebräuchen des Volkes zu finden waren. Religion (oder den Logos) sah er als Grund der guten Sitten der Amerikaner an und schrieb, »der größte Teil des britischen Amerika wurde bevölkert von Menschen ... die mit sich in die neue Welt eine Form des Christentums brachten, die ich in ihrer besonderen Ausprägung nicht treffender beschreiben kann als eine demokratische und republikanische Religion«.

Alexis de Tocqueville, Democracy in America, vol. 1 (New York: Vintage, 1972), 300.

Die Ähnlichkeit von Tocquevilles Analyse des Christentums in Amerika und von Machiavellis Analyse der Religion in der römischen Republik ist bemerkenswert. Wie Machiavelli schrieb, »wenn die christliche Religion von den Anfangsgründen entsprechend den Prinzipien seines Stifters gewahrt worden wäre, hätten die christlichen Staaten einen höheren Grad an Einigung erreicht und wären weit glücklicher gewesen als sie es heute sind. Es kann auch keinen schlagenderen Beweis für Dekadenz geben, als Zeuge der Tatsache zu werden, daß je näher die Menschen der Kirche von Rom stehen, wo sich das Haupt unserer Religion befindet, desto weniger religiös sind sie«.

Machiavelli, Discourses, 51.

Wie Machiavelli richte Tocqueville sein Hauptaugenmerk auf die politische Nützlichkeit der Religion insbesondere für eine freie Republik: »Ich stelle meine Überlegungen zu Religionen hier nur von rein menschlichen Standpunkt aus an«, schrieb er. »Mein Ziel ist zu untersuchen, mit welchen Mitteln sie am leichtesten ihren Einfluß auch in den demokratischen Zeiten erhalten kann, den wir jetzt entgegengehen«.

Tocqueville, Democracy, vol. 2, 22.

Tocqueville war sich dessen bewußt, daß die führenden Klassen Frankreichs tiefgehend vom Skeptizismus und Rationalismus der Aufklärung angesteckt waren und daß der römische Katholizismus in Frankreich kein ebenso ausgeprägtes republikanisches Bewußtsein gebildet hatte wie in den Vereinigten Staaten. Folglich wandte er sich an die moralisch gewissenhaftesten und intelligentesten Elemente der führenden Klasse in Frankreich, indem er sie dazu drängte, die Gründer Amerikas mit einer bewußten Entscheidung nachzuahmen.

Tocquevilles Aufruf für eine bewußte Erfassung der Religion zu praktischen Zwecken in Frankreich steht im Kontrast zu den Erfahrungen Amerikas. In Amerika wurde die demokratische Republik errichtet aus der Konvergenz des christlichen Glaubens des Volkes und einem neuen Territorium mit neuen Lebensumständen. Gleichwohl dachte Tocqueville noch, daß Frankreich den Verfall der öffentlichen Sitten aufhalten konnte, wenn es bestimmten Gesichtspunkten der amerikanischen Erfahrung nacheifern würde. Er sprach sich gegen politischen Zentralismus aus, um die Praxis demokratischer Verantwortlichkeit schon in Gemeinde und Region mit dem Ziel der Zusammenarbeit in der Gemeinde einzuüben und heranzubilden, gegen den Individualismus, aber auch gegen elitäre bürokratische Elemente in der Regierung, die das Bewußtsein des Volkes zerstören würden. Der Kern der Bemühung Tocquevilles, ein korrumpiertes Gemeinwesen zu reformieren, war seine Überzeugung, daß ein Land moralische Führung bräuchte, um die Abhängigkeit des Volkes von einer Zentralregierung zu bekämpfen und die Zusammenarbeit in der Gemeinde durch bürgerliche Regeneration zu fördern. Er erwartete sich davon, daß die verdienstvollsten Leute bereit sein würden, einer aktiven, unterrichteten und erneuerten Bevölkerung zu dienen.

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Von einer historischen Perspektive aus besehen waren sowohl Machiavelli als auch Tocqueville Propheten, die mit ihren Einsichten und Ratschlägen der Korruption einer demokratischen Republik wehren wollten.

Beide suchten nach politischen Mechanismen, die diese Korruption zurückdrängen würden. Machiavelli gab der Einsicht nach, daß dies ohne üble Mittel nicht zu erreichen wäre, während Tocqueville sich auf den Aufstieg einer moralischen Elite verließ.

Als praktische philosophische Anthropologen suchten beide Theoretiker eine Konstruktion zur Wiederherstellung eines moralischen Zustands statt auf die zufällige Herausbildung eines religiösen Volkes zu vertrauen. Zu diesem Grad stimmten sie Teilen der elitären Theorie der Demokratie zu. Weil sie der festen Überzeugung waren, daß der moralische Charakter des Volkes für die Erhaltung der demokratischen Republik entscheidend ist, war ihre größte Sorge, daß die Korrumpierung des Volkes der wahrscheinlichste Weg der Abirrung sein könnte, auf dem sich unter dem Mantel der Demokratie die Tyrannei erheben könnte. Sie ließen bereits Elemente der elitären Theorie der Demokratie anklingen, blieben aber überzeugt, daß die Regierungsform, wenn die Demokratie von Korruption angesteckt würde, nur die Verkleidung für eine Tyrannei wäre.

Sowohl Machiavelli als auch Tocqueville hoben hervor, daß die Demokratie in einem großen Staat, wenn sie dem Aufstieg einer Tyrannei zuvorzukommen will, dem Volk das Hauptaugenmerk widmen muß. Die heutigen Theoretiker, die Machiavelli und Tocqueville folgen, stellen andere Fragen als die Prozeduraltheoretiker:

Welche Bedingungen erlauben es politischen Eliten, trotz Einspruch und Inklusivität unverantwortlich zu bleiben?

Bringt die Privatisierung krasse ökonomische Ungleichheit mit sich und unterhöhlt daher die bürgerliche Tugend? (Eine kapitalistische Oligarchie - das heißt, Herrschschaft durch wenige Reiche - konzentriert ökonomische Macht und Vermögen ebensosehr wie eine zentralisierte bürokratische Oligarchie tut).

Welche Faktoren untergraben die religiöse Kultur des Volkes?

Wenn eine Regierung korrupt ist, sind die Eliten in der Lage, das Wahlsystem zu manipulieren, um sich selbst an der Macht zu halten. Diese Fähigkeit an sich beweist einen Mangel an Verantwortlichkeit. Demokratischer Republikanismus schließt mehr ein als institutionelle Kontrollen gegenüber gewählten Amtsträgern. Wie Machiavelli und Tocqueville nahelegten, ist eine bürgerliche Kultur verlangt, die das Volk dazu bringt, seine eigene Unabhängigkeit und die moralische Redlichkeit seiner Vertreter hochzuschätzen. Korruption ist das entscheidende Element der Auflösung des republikanischen Regimes. Sie greift den moralischen Kern des Volkes und seiner Vertreter an. Wenn die demokratische Republik überleben soll, muß sie sich vor einem durch Korruption herbeigeführtem Zerfall schützen.

Diese zwei großen Denker kamen zu dem Schluß, daß eine bestimmte bürgerliche Kultur einen organischen Teil der Gesundheit einer demokratischen Republik bildet. Im Gegensatz zu den Theoretikern der Demokratie als Verfahrenstechnik, die den Mechanismus der Teilnahme als ein Ziel an sich ansehen, behaupten die Theoretiker der demokratischen Republik, daß der Zweck einer Wahl durch ein Ziel bestimmt wird: die Sicherung der öffentlichen Angelegenheiten gegen willkürliche Einmischung von Seiten des Staates. Um der Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen, müssen die Bürger ein Normengefüge gemeinsam haben. Wie in den anschließenden Kapiteln erläutert wird, hat der Gebrauch von Narkotika eine schädliche Auswirkung auf die Bürgerkultur.